In Lüneburger stand ein Mann wegen „Containerns“ vor Gericht – und wurde jetzt freigesprochen
Seit dem Sommer 2010 zog sich das gerichtliche Verfahren, das für Karsten Hilsen jetzt endlich mit einem Freispruch endete. Sein Verbrechen: Hausfriedensbruch. Naja, eigentlich entnahm er nur einige Packungen abgelaufener Kekse aus der Mülltonne einer Großbäckerei in Lüneburg. Doch weil er auf dem Gelände der Bäckerei gesehen wurde, folgte die Anzeige.
Containern ist nicht einfach „Stochern im Müll“
Was Hilsen macht ist kein „Rumstochern im Müll“, es ist Containern – die gezielte Suche nach brauchbaren Lebensmitteln in den Mülltonnen größerer Supermärkte. Containern ist nicht zwangsläufig eine Nebenerscheinung von Armut oder Verwahrlosung, sondern eine politische Einstellung. Denn in unserer Gesellschaft werden weitaus mehr Lebensmittel hergestellt als verbraucht. Ein großer Teil davon landet in den Containern der Supermärkte, etwa wegen eines abgelaufenen Haltbarkeitsdatums oder dunklen Stellen in Gemüse und Obst. Viele dieser Produkte sind noch genießbar, wenn man sie richtig putzt und verwertet. Allein in Deutschland werden schätzungsweise bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen.
Containern richtet sich also gegen die bekannte, aber hingenommene Verschwendung von Lebensmitteln in westlichen Industrieländern. Zugleich kritisiert die Bewegung auch unsere Entfremdung von einem natürlichen, pragmatischen Umgang mit unserer Nahrung. Wir kennen Gurken nur gerade, Tomaten nur kugelrund, Salatköpfe nur hellgrün und, falls auch die düstersten Vorahnungen sich bewahrheiten sollten, Kühe bald nur noch weiß-lila. Es gibt mittlerweile nicht nur die Vorstellung von der idealen menschlichen Figur, sondern auch von der idealen Beschaffenheit einer Kartoffel – was im Fall Kartoffeln dazu führt, dass bis zu 40% der Ernte aussortiert werden.
Auch für Karsten Hilsen ist die politische Motivation entscheidend. Im ersten Verfahren vor dem Lüneburger Amtsgericht wurde er zu einer Geldstrafe von 125 Euro verurteilt und legte Berufung ein. Um seinen Protest an die Öffentlichkeit zu tragen und um schließlich das Recht auf seiner Seite zu wissen.
Der Prozess gegen Karsten Hilsen scheint dabei nicht nur auf die Wegewerfkultur in unserer Gesellschaft hinzuweisen, sondern auch auf ihre Humorlosigkeit. Ist ein mehrere Monate andauerndes Gerichtsverfahren wirklich die angemessene Konsequenz aus dem Diebstahl (bereits entsorgter) Kekspackungen? Anscheinend sah das nicht einmal mehr der Inhaber der Bäckerei so und sagte selbst aus, dass seinem Betrieb durch den „Diebstahl“ kein Schaden zugefügt worden sei.
„Taste the waste“ – Koste den Müll!
Das Problem der Wegwerfgesellschaft wird auch in den Medien zurzeit häufig behandelt und erst dadurch ist auch das Containern in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Filme wie „We feed the world“ und „Taste the waste“ zeigen Tonnen voll weggeworfener Lebensmittel, deren Mängel entweder rein visuell sind oder die den Kunden leider gerade nicht ansprachen.
„Taste the waste“ kam letzten September in die Kinos und dokumentiert die weltweite Verschwendung von Lebensmitteln. Er erhielt den Umweltmedienpreis 2011 der Deutschen Umwelthilfe e.V., denn er zeigt, dass sich unser Umgang mit Lebensmitteln langfristig auch auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen auswirken wird – nicht zuletzt auf das Klima. Den Trailer zum Film findet ihr hier: http://tastethewaste.com/info/film
Containern ist Mode
Bei allem moralischen Anspruch ist nicht zu übersehen, dass das Containern durchaus zur Mode zu werden scheint. Den einsamen Vorreitern dieser Idee hat sich ein wahrer Pulk an Gleichgesinnten – Containerern? – angeschlossen, die grenzüberschreitend kommunizieren.
Im Forum http://www.containern.de/ können sich Deutsche, Österreicher und Schweizer über alle Bereiche des Containerns austauschen, von der richtigen Ausrüstung bis zur Beratung in Rechtsstreitigkeiten – wo Karsten Hilsen jedoch der beste Ansprechpartner sein dürfte.
Luisa Podsadny
Foto: Saskia Kreis |
Containern ist nicht einfach „Stochern im Müll“
Was Hilsen macht ist kein „Rumstochern im Müll“, es ist Containern – die gezielte Suche nach brauchbaren Lebensmitteln in den Mülltonnen größerer Supermärkte. Containern ist nicht zwangsläufig eine Nebenerscheinung von Armut oder Verwahrlosung, sondern eine politische Einstellung. Denn in unserer Gesellschaft werden weitaus mehr Lebensmittel hergestellt als verbraucht. Ein großer Teil davon landet in den Containern der Supermärkte, etwa wegen eines abgelaufenen Haltbarkeitsdatums oder dunklen Stellen in Gemüse und Obst. Viele dieser Produkte sind noch genießbar, wenn man sie richtig putzt und verwertet. Allein in Deutschland werden schätzungsweise bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen.
Containern richtet sich also gegen die bekannte, aber hingenommene Verschwendung von Lebensmitteln in westlichen Industrieländern. Zugleich kritisiert die Bewegung auch unsere Entfremdung von einem natürlichen, pragmatischen Umgang mit unserer Nahrung. Wir kennen Gurken nur gerade, Tomaten nur kugelrund, Salatköpfe nur hellgrün und, falls auch die düstersten Vorahnungen sich bewahrheiten sollten, Kühe bald nur noch weiß-lila. Es gibt mittlerweile nicht nur die Vorstellung von der idealen menschlichen Figur, sondern auch von der idealen Beschaffenheit einer Kartoffel – was im Fall Kartoffeln dazu führt, dass bis zu 40% der Ernte aussortiert werden.
Auch für Karsten Hilsen ist die politische Motivation entscheidend. Im ersten Verfahren vor dem Lüneburger Amtsgericht wurde er zu einer Geldstrafe von 125 Euro verurteilt und legte Berufung ein. Um seinen Protest an die Öffentlichkeit zu tragen und um schließlich das Recht auf seiner Seite zu wissen.
Der Prozess gegen Karsten Hilsen scheint dabei nicht nur auf die Wegewerfkultur in unserer Gesellschaft hinzuweisen, sondern auch auf ihre Humorlosigkeit. Ist ein mehrere Monate andauerndes Gerichtsverfahren wirklich die angemessene Konsequenz aus dem Diebstahl (bereits entsorgter) Kekspackungen? Anscheinend sah das nicht einmal mehr der Inhaber der Bäckerei so und sagte selbst aus, dass seinem Betrieb durch den „Diebstahl“ kein Schaden zugefügt worden sei.
„Taste the waste“ – Koste den Müll!
Foto: Katharina Jedrysek |
„Taste the waste“ kam letzten September in die Kinos und dokumentiert die weltweite Verschwendung von Lebensmitteln. Er erhielt den Umweltmedienpreis 2011 der Deutschen Umwelthilfe e.V., denn er zeigt, dass sich unser Umgang mit Lebensmitteln langfristig auch auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen auswirken wird – nicht zuletzt auf das Klima. Den Trailer zum Film findet ihr hier: http://tastethewaste.com/info/film
Containern ist Mode
Bei allem moralischen Anspruch ist nicht zu übersehen, dass das Containern durchaus zur Mode zu werden scheint. Den einsamen Vorreitern dieser Idee hat sich ein wahrer Pulk an Gleichgesinnten – Containerern? – angeschlossen, die grenzüberschreitend kommunizieren.
Im Forum http://www.containern.de/ können sich Deutsche, Österreicher und Schweizer über alle Bereiche des Containerns austauschen, von der richtigen Ausrüstung bis zur Beratung in Rechtsstreitigkeiten – wo Karsten Hilsen jedoch der beste Ansprechpartner sein dürfte.
Luisa Podsadny
Endlich mal wieder ein toller Artikel mit Inhalt! Gut recherchiert und witzig geschrieben :)
AntwortenLöschenWie viele Lebensmittel auf dem Müll landen ist erschreckend. Ich kenne den Film "We feed the world" - er ist nur weiter zu emfehlen. Der Artikel übrigends auch.
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